Foto: H.S.
18.10.2025 - von Dullien, Sebastian; Rietzler, Katja
17.10.2025: Kanzler Ahnungslos
Kanzler Merz und seine wohldotierten Berater hatten die beabsichtigten Folgen der Kürzungen des Bürgergelds Anfang September mit 5 Milliarden Euro veranschlagt. Von der Tagesschau über FAZ, BILD, Süddeutsche, Wirtschaftswoche, RTL und RND bis zu den Kreiszeitungen und dem ÖR wurde wiederholt, was Merz im Interview mit SAT.1 verkündet hatte. Rund zehn Prozent der Kosten des Bürgergelds würden eingespart werden, und das wären 5 Milliarden Euro im Jahr.
"Die neuen Berechnungen im Gesetzesentwurf stellen diese Zahl in Frage", schreibt Franziska Müller vorsichtig auf Euronews am 17.10.25. "Die Bundesregierung könne im kommenden Jahr 86 Millionen Euro einsparen." Das ist wenig im Vergleich zu den von Merz propagierten 5 Milliarden! Im nächsten Jahr wären es nur noch 69 Millionen Euro. Wegen des höheren Vermittlungsaufwands der Agentur für Arbeit plant das Ministerium von Baerbel Bas im Jahr 2028 sogar Mehrkosten von zehn Millionen Euro, und 2029 von neun Millionen Euro ein.
Nun werden die neuen Zahlen durch die Kanäle gejagt und Björn D., WDR-Korrespondent in Berlin meint lapidar im Morgenprogramm von WDR 5 am Samstag: Merz habe wohl mit der Zahl von fünf Milliarden ein "Symbol" kreieren wollen. Merke: Rechenfehler, Falschaussagen und Propaganda werden im Öffentlich-Rechtlichen "Symbol" genannt.
Am gleichen Tag äußert sich der Kanzler auf Nachfrage der Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung höchstpersönlich auf die Frage nach der Einsparung beim Bürgergeld: "Ich bleibe bei meiner Einschätzung, dass sich vom Bürgergeld mindestens zehn Prozent einsparen lassen, wenn die Reform erfolgreich wird. Auch die Bundesarbeitsministerin sagt, dass 100.000 Bürgergeldempfänger im Arbeitsmarkt zu gut einer Milliarde Euro Einsparungen führen. Nun können Sie die Summe hochrechnen, wenn von 5,6 Millionen heutigen
Bürgergeldempfängern mindestens die Hälfte grundsätzlich arbeitsfähig ist."
Bevor Sie nun der Aufforderung des Kanzlers folgen und die Summe hochrechnen, hier die aktuellen Zahlen laut Statista: Von den laut Statista im Juni 5,47 Millionen Beziehern von Bürgergeld bzw. Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) II waren "im Juni 2025 lediglich rund 1,8 Millionen erwerbsfähig und arbeitslos." Davon die Hälfte, das sind 900.000. Fänden die alle eine Vollzeitstelle auf dem Arbeitsmarkt, würde das laut der Bas-Berechnung 9 Milliarden Ersparnis bringen. Wobei sich sofort die Frage ergibt, woher 900.000 Vollzeitstellen auf dem eh schon desolaten Arbeitsmarkt kommen sollen?
Tagesschau, 2.9.2025: Link Euronews, 17.10.2025: Link FAZ Sonntagszeitung, 18.10.2025, print S.3, Statista Link
15.10.2025: Sozialstaatsdebatte: trotz kaum vorhandener Analye Fokus auf Scheinproblemen
Über den Sommer hat sich die Sozialstaatsdebatte in Deutschland zugespitzt. So behauptete Bundeskanzler Friedrich Merz jüngst, Deutschland könne sich "dieses System, das wir heute so haben, einfach nicht mehr leisten". Einschnitte seien in allen Bereichen notwendig. Ein Blick in die Statistiken zum Sozialstaat zeigt allerdings: Die Gesamtausgaben sind nicht auffällig groß, nicht auffällig gestiegen und Probleme gibt es allenfalls in einzelnen engen Bereichen.
Bereits Anfang 2024 hatten wir im IMK-Kommentar Nr. 11 darauf hingewiesen, dass die Ausgaben für den Sozialstaat in Deutschland im internationalen Vergleich nicht übermäßig hoch lagen (Dullien und
Rietzler 2024). Deutschland reihte sich dabei im Mittelfeld der entwickelten EU-Staaten ein zwischen Spanien und Dänemark.
Bei Berücksichtigung sowohl der gesetzlichen Krankenversicherung wie verpflichtender privater Krankenversicherungen lag die deutsche Sozialausgabenquote sogar nahe derjenigen der Schweiz und der USA.
Inzwischen sind Daten vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (2025) veröffentlicht worden, die für 2024 für Deutschland einen Anstieg der Sozialleistungsquote aufzeigen. Die Abgrenzung des BMAS ist dabei nicht vollständig mit jener der OECD zu vergleichen, auch liegen für viele andere Länder noch keine Daten für 2024 vor. Allerdings lässt sich schon vorab anhand der bisher vorliegenden Daten sagen: Der jüngste Anstieg war nicht so kräftig, dass Deutschland damit das Mittelfeld der europäischen Länder verlassen hätte. ...
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Dullien, Sebastian; Rietzler, Katja (2025): Sozialstaatsdebatte krankt an mangelnder Analyse und Fokus auf Scheinprobleme
IMK Kommentar Nr. 16, 5 Seiten
Stichworte: Sozialausgaben, Sozialstaat, Rente, Krankenversicherung
Quelle
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18.10.2025: Nie wieder Krieg - Die Charta der Vereinten Nationen
08.10.2025: Sozialstaat: Ausgabenquote für Rente und Arbeitslose niedriger als früher – Reform auf Gesundheitssystem konzentrieren
28.09.2025: UN-Vollversammlung zeigt, wo die deutsche Aussenpolitik steht
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